JoergHemmer.de

Weichholzaue

Die Welt der Pioniere

Hier: Youtube-Video zur Zonierung der Aue

Die Farbe der Natur ist grün, das Grün des Farbstoffes Chlorophyll, mit dem Pflanzen Licht in chemische Energie umwandeln. Als biologische Sonnenkollektoren ringen sie um jeden Lichtstrahl für ihr Wachstum und ihre Vermehrung. Nur die trockensten Wüsten oder die kältesten Winkel der Erde sind kahl. Aber überall dort, wo es die Rahmenbedingungen zulassen, da stellen sich auch Pflanzen ein. Gerade in der künstlichen Umwelt unserer Städte sehen wir täglich Beispiele für die Beharrlichkeit, mit der Pflanzen um jede noch so bizarre Nische kämpfen. Was sind das für Gewächse, die in Mauerfugen wurzeln, Dachrinnen besiedeln, ja sogar Asphalt durchbrechen? Jeder Gartenbesitzer kennt die Lebenskraft des so genannten Unkrautes, das immer und immer wieder aufs Neue seine Blätter entfaltet. Diese Pflanzen haben ganz besondere Eigenschaften, die sie als Erstbesiedler neu entstandener Biotope qualifizieren. Viele produzieren große Mengen an leichten Samen, die durch den Wind weit verbreitet werden können. Oft vermehren sie sich durch Ableger, Ausläufer oder Stockausschlag. Und sie zeigen eine hohe Widerstandsfähigkeit gegenüber physikalischen Belastungen wie Extremtemperaturen, Trockenheit, Überflutung, Wind oder mechanischer Beanspruchung.

Mit Recht werden diese Pflanzen als Pionierpflanzen bezeichnet. Kaum haben sie irgendwo Fuß gefasst, beginnen sie, die Lebensverhältnisse ihres Standortes zu verändern. Sie durchwurzeln den Untergrund, führen dem Boden Nährstoffe zu, spenden Schatten oder brechen den Druck von Wasser und Wind. So stellen sich auf den ehemals instabilen Extremstandorten schnell beständigere Lebensverhältnisse ein. Bald finden auch Pflanzen mit höheren Ansprüchen eine Existenz. So bereiten Pionierpflanzen durch ihre eigenen Aktivitäten den Boden für die aufstrebende Konkurrenz - nach und nach verdrängt diese Folgevegetation ihre Wegbereiter. Aber auch die nachrückende Flora bildet nur Übergangsstadien, die sich weiter entwickelt, bis sie irgendwann einen stabilen Endzustand erreicht: die so genannte Klimaxvegetation. Bei uns in Mitteleuropa wären das fast immer Laubwälder, es sei denn es handelt sich um Extremstandorte wie im Hochgebirge oder an der Meeresküste.

Dieser Uferbereich eines Baggersees fiel nur für wenige Wochen trocken - und schon besiedelten die ersten Pionierpflanzen den rohen Kies.
Nur zwei Jahre später wurzelten hier bereits mehrjährige Stauden.
Nach zehn Jahren ist das Ufer von dichten Hochstaudenfluren bedeckt, Schilfflächen säumen die Wasserkante und im Hintergrund schieben sich schnellwüchsige Weidengebüche bis an das Ufer heran.
Nur im regelmäßigen Überschwemmungsbereich von Fließgewässern, wie hier an der Wertach im Allgäu, können Pflanzen keine Wurzeln fassen.
Ebenfalls an der Wertach zeigt sich auf engstem Raum die Wirkung von Wasserschwankungen: Ein vegetationsloses Kiesufer im Bereich regelmäßiger Pegelschwankungen, darüber ein Gürtel aus Pionierpflanzen, die häufige Überflutungen vertragen, gefolgt von den Weiden und Erlen der Weichholzaue, die nur gelegentlich bei Hochwasser geflutet werden.

 

Die Wissenschaft bezeichnet diese Abfolge von Vegetationsstufen als Sukzession. Während der Entwicklungsphase eines Biotops ändert sich ständig die Zusammensetzung des Arteninventars und erreicht erst im Endzustand ein stabiles Gefüge. Die Besiedlung von zunächst kahlen Schotterbänken durch Pionierpflanzen, der Übergang zu den Strauchweiden-Gesellschaften der Weichen Au bis hin zum Hochwald der Hartholzaue ist ein eindrucksvolles Beispiel, bei dem alle Stufen der Sukzession nebeneinander beobachtet werden können.

Junge Kiesbänke stehen fast ständig unter Wasser. Solange solche Schotterflächen nur kurzzeitig auftauchen, können höhere Pflanzen nicht Fuß fassen. Aber manchmal schüttet ein Hochwasser eine zusätzliche Schicht Sedimente auf die Kiesinsel und die Krone dieser Schotterbank bleibt nun monatelang trocken. Das ist die Stunde der Pioniere. Zu ihnen gehören verschiedene Ampfer- und Knötericharten, Kriechender Hahnenfuß, Pestwurz, Rohrglanzgras oder Straußgras. Diese Wegbereiter haben die Fähigkeit, sich im noch instabilen Untergrund so fest zu verwurzeln, dass sie den regelmäßigen Überflutungen standhalten können.

Zu den ersten Siedlern gehören auch überschwemmungsresistente Strauchweiden wie Purpurweide, Bruchweide und Mandelweide. Sie bilden zunächst lockere und dann immer dichtere Bestände. Jede Überschwemmung führt neue Sedimente in die Pioniervegetation. Wurzelwerk und Geäst der Weidenbüsche wirken wie ein Filter, das nun auch feinere Ablagerungen zurückhält. So setzt jede Flut neue Schichten aus Lehm und Schlick ab, die durch die wachstumsfreudigen Weiden gleich wieder durchwurzelt und verfestigt werden. Weiden sind regelmäßig die ersten Holzpflanzen, die auf neu geschaffenen Sandbänken, Kiesinseln oder Schlickablagerungen ihre Wurzeln verankern. Und es ist nicht nur ihre Formenvielfalt, die Weiden zu typischen Vertretern der Pionierpflanzen macht: Auch das üppige Wachstum, die ausgeprägte ungeschlechtliche Vermehrungsfähigkeit, die leichte Verbreitung und schnelle Keimung der Samen sind wichtige Eigenschaften für eine Anpassung an extreme und instabile Lebensräume. Eine detaillierte Beschreibung der Biologie von Weiden finden Sie im gesonderten Beitrag Weiden - die Pioniere.

Die Ufer unserer Fließgewässer sind Standorte, die auf die Bedürfnisse vieler unserer Weidenarten zugeschnitten sind. Die Übergangszone von Wasser zum Land, das ist ihr Element. Überflutungen von bis zu sechs Monaten tolerieren sie ebenso wie gelegentliche Trockenheit. Weidenzweige sind biegsam und trotzen starken Strömungen. Wird die Wucht des Wassers so groß, dass Büsche samt Wurzeln auszureißen drohen, werden Zweige und Äste geopfert, die unter dem Druck der Flut leicht brechen. Die Pflanzen nehmen daran keinen Schaden, sie treiben an den Bruchstellen wieder aus. Die abgebrochenen Zweige aber verfangen sich wieder irgendwo am Ufer oder stranden auf Kies- und Sandbänken, wo sie erneut austreiben und als Pioniere den Grundstock für neue Weidengebüsche legen. Die Bruchweide hat diesen Mechanismus zum Prinzip gemacht, sie verliert ihre Äste besonders schnell – daher ihr Name.

Die Ansiedelung der ersten Weiden auf einer Kiesinsel oder Schotterbank ist der Anstoß für die Entwicklung der Weichholzaue. Mit jeder Flutwelle werden fruchtbare Schwebstoffe in das junge Weidengebüsch getragen. Der Boden hebt sich, Anzahl und Dauer der Überschwemmungen nehmen ab. Ein sich verstärkender Kreislauf beginnt. Gleichzeitig wird der Rohboden durch die Verrottung von Herbstlaub mit Humus angereichert. Aber zunächst überwiegt der Eintrag von außen, also von angeschwemmten Laub, Pflanzenteilen oder Treibholz. Auf den immer fruchtbareren Böden gedeihen bald auch hochstämmige Baumarten, darunter Wieden wie Silberweide und Korbweide, aber zunehmend auch Schwarzpappel, Schwarz- und Grauerle. Diese Bäume verdrängen allmählich die lichthungrigen Strauchweiden der Pioniergeneration.

So entsteht die Weichholzaue. Das Wort leitet sich, ebenso wie die Synonyme Weiche Au oder Weidenaue, von den vorherrschenden Laubbäumen ab. Weiden, Pappeln und Erlen werden wegen ihres großporigen, forstwirtschaftlich minderwertigen Holzes auch als Weichholz bezeichnet. Die Weichholzaue bildet die Brücke zwischen dem Flussufer und den Laubwäldern der Hartholzaue. Ihre Existenz verdankt die Weichholzaue den regelmäßigen Überflutungen des Flussufers und einem beständig hohen Grundwasserspiegel. Weiden, Pappeln und Erlen gehören zu den Bäumen, die schadlos über hundert Tage im Wasser stehen können. Sie sind daher die Charakterbäume der Weichholzaue. Sie gedeihen im Bereich der mittleren Hochwasserlinie, dort, wo die Ufer mindestens einmal im Jahr unter Wasser stehen. Bleibt der Rhythmus der Überflutungen aus – zum Beispiel durch Eingriffe des Menschen – dann verschwindet dieses einzigartige Biotop innerhalb kurzer Zeit.

Nur in wenigen Bereichen natürlicher Flussufer stellt sich die typische Zonierung der Aue lehrbuchmäßig dar, mit einem von vegetationslosen Kiesbänken gesäumten Fluss, anschließend ein Streifen aus krautigen Pionierpflanzen, gefolgt von einem Saum aus Buschweiden wie Purpur-, Bruch- und Mandelweide als Übergang zum Weichholzauenwald aus Baumweiden, Erlen und Pappeln. Meist lassen die Übergangsbereiche vom Ufer zur Weichholzaue ein uneinheitliches Gesicht erkennen. Unebene Kiesablagerungen, Flutrinnen und Altarme formen einen strukturreichen Untergrund mit ganz unterschiedlichen hydrologischen Verhältnissen auf engstem Raum. Die Vegetation folgt diesen Unebenheiten im Relief mit einem Mosaik aus Röhrichten, vegetationsarmen Kiesbänken, Altwassern, Weidengebüschen und Baumgruppen aus Silberweiden, Korbweiden, Erlen und Pappeln.

Wie hier an der Mündung der Isar ....
... oder an der Donau bei Dillingen bildet die Weichholzau mit Röhrichten, Kiesbänken und Altarmen ein engmaschiges Mosaik unterschiedlicher Biotope.
An natürlichen Flussufern mit regelmäßigen Pegelschwankungen bilden Strauchweiden den Übergang von den Kiesbänken zur Weichholzaue.

 

Der unmittelbare Bereich des Flussufers bis in die Zone der Weichholzaue hinein befindet sich in einem Zustand beständigen Umbruchs. Jedes Hochwasser verändert die ökologischen Rahmenbedingungen. Ablagerungen füllen ehemals wassergefüllte Mulden. So wie eine einzige Flut den Zugang des Flusses zu einem Altarm abschneiden kann, so entsteht in unmittelbarer Nachbarschaft vielleicht eine neue Flutrinne. Die wechselhaften Verhältnisse entfachen einen hartnäckigen Existenzkampf unter den Pflanzen. Es geht um die Balance von Wasser und Licht. Kaum kann der schwankende Boden auch größere Bäume tragen, verdrängen die hochwüchsigen Silber- und Korbweiden die lichthungrigen Strauchweiden. Durch Bodenverfestigung und Laubdüngung bereiten die Baumweiden selbst wieder den fruchtbaren Boden für ihre Konkurrenz, die Pappeln und Erlen.

Die dominierende Erlenart an den Flüssen Süddeutschlands ist die Grauerle (Alnus incana). Auf den etwas trockeneren Standorten der Weichholzaue entwickelt sich oft ein Grauerlen-Auenwald im Übergang zur Hartholzaue. Im norddeutschen Tiefland wird die Grauerle von der Schwarzerle (Alnus glutinosa) ersetzt. Beide Arten sind an ihrer Blattform gut zu unterscheiden. Aber auch in den Grauerlenwäldern des Alpenvorlandes fehlt die Schwarzerle nur selten. Schwarzerlen bevorzugen jedoch deutlich nassere Standorte als Grauerlen.

Schwarzerle
Grauerle

 

Grauerlenwälder sind typische Waldformationen der Weichholzauen Süddeutschlands. Erlen sind in der Lage, über symbiontische Knöllchenbakterien in ihren Wurzeln atmosphärischen Stickstoff zu binden. Als Stickstoff-Selbstversorger, die zudem von der regelmäßigen Düngung durch das Hochwasser profitieren, sind Erlen-Auwälder daher außerordentlich artenreiche Pflanzengesellschaften. Entsprechend vielfältig ist auch die Strauch- und Bodenvegetation. Je nach Bodenfeuchte und Überschwemmungsdynamik reicht das Artenspektrum von typischen Sumpfpflanzen bis hin zu Arten, die zwar eine jährliche Überschwemmung vertragen, aber zumindest den größten Teil des Jahres nicht im Wasser stehen wollen.

Zu ersteren gehören Sumpfdotterblume, Bachnelkenwurz, Kohldistel oder Gilbweiderich. Beispiele für Bewohner mäßig nasser Standorte sind Brennnessel, Kratzbeere, Wiesenkerbel, Hecken-Kälberkropf, Waldengelwurz, Große Klette, Efeu-Gundermann, Gefleckte Taubnessel, Riesen-Goldrute, Echter Beinwell oder lichtliebende Rankpflanzen wie die Zaunwinde oder der Hopfen. In den trockeneren Bereichen der Weichholzaue erscheinen bereits Büsche der Hartholzaue wie Schwarzer Holunder, Traubenkirsche, Roter Hartriegel, Gewöhnlicher Schneeball oder Berberitze.

Der Übergang von der Weichholzaue zur Hartholzaue ist fließend. Baumweiden und Erlen werden seltener und die Zahl der Eschen, Feldulmen und Flatterulmen nimmt zu. Dieser Übergang wird bei uns häufig durch einen Gürtel aus Pappeln gekennzeichnet. Natürlicherweise kommen in hier, allerdings nur als Einzelbaum, Silberpappel, Zitterpappel und Schwarzpappel vor. Im Rahmen des Bemühens, diese Flächen im Überschwemmungsbereich des jährlichen Regelhochwassers auch forstwirtschaftlich zu nutzen, wurden hier häufig Aufforstungen mit schnellwüchsigen Hybridpappeln (vor allem Kreuzungen der einheimischen Schwarzpappel mit der Kanadischen Schwarzpappel) vorgenommen.

 

Häufig ersetzen sterile Hybridpappel-Plantagen die artenreichen Weichholzauenwälder.


Weichholzauen als Brücke zwischen Flussufer und Hartholzauenwäldern findet man nur in den Stromtälern der Flachlandflüsse bis hinauf in die unteren Bereiche der alpinen Nebenflüsse der Donau und des Rheins. Bereits an den Mittelläufen von Inn, Isar, Lech oder Altrhein weichen die wärmeliebenden Laubbäume der Hartholzaue zurück. Ab hier dominieren die widerstandsfähigeren Bäume der Weichholzaue. Mit der Nähe zum Gebirge verlieren zunehmend die Baumweiden an Bedeutung, es wächst der Wettbewerbsvorteil der Strauchweiden. In den kiesgefüllten Tälern der oberen Isar oder des Tiroler Lechs begleiten ausgedehnte Weidengebüsche die Ufer der Wildflüsse. Wo sich im Gebirge das Tal verengt, da wird auch die Aue schmaler. Oft bildet sich an den Bächen und kleineren Flüssen des Berglandes nur eine saumartige Ufervegetation aus Strauchweiden und Erlen. Bei steilen Talprofilen gehen die uferbegleitenden Pflanzengesellschaften oft sogar unmittelbar in die angrenzenden Bergwälder über.

Auch wenn uns die auffällige Flora der Weichholzaue in den Bann zieht, so darf diese Fokussierung nicht über die Bedeutung der Tierwelt im Gefüge der Natur hinwegtäuschen. So sind im zeitigen Frühjahr die Weiden der Weichen Au mit ihren geradezu verschwenderischen Blütenkätzchen ein Überlebensfaktor für viele nektarsaugende und pollenfressende Wespen, Wildbienen oder Schwebfliegen. Dies ist ein Beispiel für die Bedeutung auch kleiner Biotope für die Existenz eines umfassenderen Ökosystems, denn diese Fluginsekten werden den ganzen Sommer lang in den angrenzenden Auwäldern ihren Dienst als Bestäuber absolvieren. Die schwer zugängliche Weichholzaue ist ein geradezu idealer Lebensraum für scheue Tierarten. Zum Beispiel für den Biber: Hier hat er seinen Bau und findet sein Winterfutter in Form von Rinde und Knospen der Weichhölzer. Im Sommer bevorzugt er eine leichte Pflanzenkost aus Seerosenknollen oder jungem Schilfrohr, aber auch diese Nahrungsquellen befinden sich meist in unmittelbarer Reichweite der Weichholzaue. Tatsächlich greifen Biber nur dann auf Harthölzer zurück, wenn das Angebot an Weiden, Erlen oder Pappeln gering ist. Dies ist in unserer Kulturlandschaft allzu oft der Fall. Fischotter, Wasserspitzmaus, Ringelnatter oder Laubfrosch führen in der Weichholzaue ein eher unauffälliges Leben. Ebenso seltene Vogelarten wie die Beutelmeise oder das Blaukehlchen. Nur die Nachtigall verkündet bei Tag und Nacht ihre Anwesenheit mit ihrem weithin hörbaren Gesang.

Biber, Ringelnatter, Blaukehlchen und Moschusbock gehören zu den heimlichen Bewohnern der Weichholzaue.

Wie die Kiesbänke, so ist auch die Weichholzaue ein durch physikalische Umweltfaktoren geprägter Biotop. Der Rhythmus der Hochwasser, die Höhe des Grundwasserspiegels, die Beschaffenheit des Bodens und der Zugang zum Sonnenlicht – das sind die strengen Rahmenbedingungen, die diesen Lebensraum definieren. Die Wechselhaftigkeit und Unberechenbarkeit natürlicher Flüsse: Was für die Menschen ein Störfaktor ist, das gewährleistet die Existenz der Weichholzaue.

 

Noch mehr zum Thema finden Sie im Auwaldbuch.