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Biologie und die Eigenschaften des Wassers

Kein Leben ohne Sauerstoff, mit Ausnahme einiger weniger Arten von Bakterien. Die Luft enthält Sauerstoff im Überfluss, das Wasser dagegen enthält nur die lösliche Form - ein oft knappes Gut. Als wäre das nicht schon schwierig genug, nimmt der Sauerstoffgehalt auch noch mit steigender Temperatur ab. Ausgerechnet im Sommer, wenn der Stoffwechsel auf Touren kommen könnte, sinkt die Energieversorgung: ein oft riskanter Balanceakt für wasserlebende Organismen. Erstaunlich dass sich das Leben ausgerechnet im Wasser entwickelt hat. Spricht vielleicht auch etwas für ein Leben im Wasser? Diese Frage offenbart wieder so ein typisches Verständnisproblem: Wir sehen die Welt beständig aus der Perspektive eines Landbewohners. Dabei haben ja eigentlich wir die größeren Probleme. Nicht ohne Grund ist nämlich das Leben vor etwa 3,6 Milliarden Jahren im Wasser entstanden, der Schritt an Land erfolgte erst vor 500 Millionen Jahren.

Viele Lebensvorgänge laufen nämlich im Wasser viel besser ab als an Land. Da ist zunächst einmal das Problem der Austrocknung, das sich im Wasser gar nicht erst stellt. Im Salzwasser, wo das Leben entstand, haben Körperflüssigkeiten und Außenmedium sogar fast die gleiche mineralische Zusammensetzung, so dass Meeresbewohner nicht einmal eine besonders effektive Außenhülle zum Schutz ihres Ionenhaushaltes benötigen. Das Süßwasser ist in dieser Hinsicht schon deutlich lebensfeindlicher und erfordert bereits fortgeschrittene anatomische und physiologische Maßnahmen, um das Binnenmilieu der Zellen und Organismen vor dem Entweichen von Inhaltsstoffen zu bewahren.

Aber auch das Süßwasser teilt viele Eigenschaften der Meere. Da ist zum Beispiel das Klima: geringe Temperaturschwankungen, kein Frost - und wenn doch, das Eis schwimmt immer oben. Was müssen sich Landlebewesen nicht alles einfallen lassen, um nicht zu erfrieren oder auszutrocknen? Und dann die Fortbewegung: Schwimmen in drei Dimensionen ohne aufwändige Hilfsmittel, denn Wasser macht (fast) schwerelos. Weil Gewicht kaum eine Rolle spielt und nebenbei auch kein Risiko der Austrocknung besteht, investieren viele aquatische Tiere und Pflanzen nicht in Stützkonstruktionen oder strapazierfähige Außenhüllen. Uns Erdbewohner dagegen zwingt die Schwerkraft unter der Last unserer Skelette und Hautpanzer buchstäblich zu Boden, in den Kriechgang. Ob Mensch, Schildkröte oder Käfer, elegant sieht unsere Art der Fortbewegung jedenfalls nicht aus.

Auch der Sex ist unter Wasser müheloser als an Land, die Geschlechtszellen schwimmen einfach zueinander. Die oft beschwerlichen Paarungsakte sind Erfindungen des Landlebens, denn die Positionierung der Samenzellen ist bei den meisten terrestrischen Tieren Präzisionsarbeit. Wassertiere verzichten darauf, es sei denn, es handelt sich um solche, die sich wie die Wassersäuger oder Wasserinsekten sekundär wieder vom Landleben verabschiedet haben. Und wie ist das bei Wasserpflanzen? Eine interessante Frage: Wie vermehren sich eigentlich Wasserpflanzen? Aber die Antwort auf diese Frage wurde bereits behandelt: nehmen Sie einfach diesen Link.

Und dann gibt es noch die Anomalie des Wassers. So heißt das physikalische Geheimnis, welches das üppige Leben in unseren Tümpeln, Seen und Flüssen überhaupt erst möglich macht. Während bei den meisten Flüssigkeiten die Dichte mit abnehmender Temperatur zunimmt, so ist dies bei Wasser nur oberhalb von 4°C der Fall. Bei dieser Temperatur hat Wasser seine größte Dichte. Ein Liter Wasser wiegt bei 4°C genau 999,97 Gramm, bei 10°C sind es 999,70 Gramm und bei 20°C genau 998,20 Gramm. Auch wenn die Differenzen gering erscheinen mögen, der Effekt ist deutlich: Wärmeres Wasser ist leichter und schwimmt oben. Im Sommer ist es daher an der Oberfläche eines Tümpels am wärmsten und die kälteren Wassermassen schichten sich mit abnehmender Temperatur hinunter bis zum Gewässergrund.

Diese Schichtung bleibt auch erhalten, wenn sich im Herbst die Luft abkühlt. Weil das Oberflächenwasser zunächst noch warm ist, kommt es bei den ersten Temperaturstürzen im Spätsommer auch zur Bildung von Wasserdampf. Langsam aber wird die Temperaturdifferenz zwischen dem Gewässergrund und der Oberfläche geringer, bis sich schließlich der gesamte Wasserkörper auf 4°C abgekühlt hat.

Und jetzt kommt es: Kälteres Wasser wird wieder leichter! Bei 3°C wiegt ein Liter Wasser nämlich 999,96 Gramm und bei 1°C sogar nur 999,90 Gramm. Das ist es, was man als Anomolie des Wassers bezeichnet. Folgerichtig lagert sich bei einer weiteren Abkühlung der Luft das nun kältere Oberflächenwasser über das 4°C warme, schwerere Tiefenwasser. Das Resultat: Im Winter schichtet sich das Wasser im Tümpel in einer entgegengesetzten Temperaturfolge als im Sommer: Jetzt ist die kälteste Schicht oben und das 4°C "warme" Wasser unten. Und ganau das ist auch der Grund, warum ein Gewässer nicht von unten, sondern von oben her zufriert! Das Eis aber schwimmt immer an der Oberfläche, es wiegt ja auch nur etwa 918 Gramm pro Liter.

Diese Anomalie des Wassers ist das Geheimnis des Lebens in allen Süßgewässern, denn für Pflanzen und Tiere ist dieser Umstand von existenzieller Bedeutung: Unter dem Eis befindet sich immer flüssiges Wasser. Darum frieren Fische im Winter nicht ein, es sei denn, es handelt sich um sehr flache Gewässer, die bis zum Grunde zufrieren. Aber Eisdicken von mehr als einem Meter sind selbst in den Gewässern der Arktis selten, denn Eis hat ebenfalls eine ökologisch bedeutsame Eigenschaft: Es isoliert. Ganz unten am Teichgrund herrscht daher während des gesamten Winters eine Temperatur von 4°C, und das ist gar nicht so ungemütlich, wie es scheint. Denn mit Ausnahme von Vögeln und Säugern sind alle anderen Tiere wechselwarm. Das bedeutet, sie passen ihre Körpertemperatur den Außenbedingungen an. Bei einer Wassertemperatur von 4°C erfrieren sie jedenfalls nicht.

Anders als Landtiere müssen sich Wasserbewohner daher nicht vor Eisbildung in ihren Zellen schützen, denn das wäre der Tod. Andererseits sind die Lebensvorgänge im kalten Wasser stark reduziert. Als Näherung kann man die so genannte Reaktionsgeschwindigkeit-Temperatur-Regel (RGT-Regel) heranziehen. Sie besagt, dass sich bei einer Temperaturerhöhung um 10° die Stoffwechselrate verdoppelt. Das gilt auch anders herum: Der Stoffwechsel eines Fisches, eines Wasserflohs oder einer Libellenlarve ist im kalten Wasser des Teichgrundes auf etwa ein Viertel der sommerlichen Aktivität reduziert. Und es kommt noch besser: Gleichzeitig steigt nämlich die Löslichkeit von Sauerstoff im Wasser von etwa 9 Milligramm pro Liter bei 20°C auf fast 15 Milligramm pro Liter knapp über dem Gefrierpunkt. Eine Viertelung des Stoffwechsels bei fast einer Verdoppelung der Verfügbarkeit von Sauerstoff – das sind Bedingungen, unter denen es sich recht komfortabel leben lässt.

Unter dem Eis geht das Leben weiter!

 


Was wie eine trockene Physikstunde klingt, bringt letztlich eine Besonderheit des Wassers ans Tageslicht, mit der die Evolution der Tiere ganz neue Wege einschlagen konnte. Durch die Anomalie des Wassers wurde Insekten, die wie die Libellen schwerpunktmäßig in den Tropen leben, der Weg in unsere Breiten geebnet. Durch die Verlegung des Larvenstadiums in den Winter entgehen die Nachkommen so dem Unbill der kalten Jahreszeit. Mehr noch: Während viele Landinsekten im Winter eine Pause einlegen müssen, nutzen die Libellenlarven diese Zeit auch noch für ihre Weiterentwicklung. Im Frühling macht dann eine neue Generation dieser tropisch anmutenden Insekten den Luftraum über ihrem Geburtsgewässer unsicher. Libellen sind nämlich wie ihre Larven gefräßige Räuber. Ihre Eltern hingegen sind bereits vor Monaten den Frösten des Winters zum Opfer gefallen. Tatsächlich ist diese Art der Entwicklung kein Privileg der Libellen, sondern auch die Steinfliegen, Eintagsfliegen und Köcherfliegen verbringen ihre Jugend im Winter unter Wasser. Eine überraschende Vorstellung: Während wir Schlittschuh fahren, geht unter dem Eis das Leben unaufhaltsam weiter.

 

Die Entwicklung der Larven der Großlibellen dauert ein bis zwei Jahre ...

... bis sie im Frühjar ihren nassen Lebensraum verlassen ....

... und einen Sommer lang den Luftraum über ihrem Heimatgewässer beherrschen.


So wie die Wasserpflanzen, so haben auch die Wasserinsekten sekundär zu einem Leben im Süßwasser zurückgefunden. Versteinerungen aus dem Beginn des Kambriums vor 540 Millionen Jahren beweisen, dass die Vorfahren aller Gliederfüßer aus dem Meer stammen. Aus diesen entwickelten sich die Krebstiere, die mit heute etwa vierzigtausend Arten die Ozeane bevölkern, und die Insekten, die mit fast einer Million bislang bekannter Arten das Land beherrschen. Eine kleine Gruppe der Krebstiere hat vom Meer her auch das Süßwasser erobern können. Dazu gehören unsere Wasserflöhe, Hüpferlinge, Floh- und Muschelkrebse. Der Süßwasserkrebs wirkt mit seinen zwanzig Zentimetern Länge wie ein Riese zwischen diesen Winzlingen. Insekten betraten die Bühne erst im Silur, also vor 408 bis 438 Millionen Jahren. Damit gehörten sie zu den ersten Tieren, die das Wasser verließen. Sie folgten den Landpflanzen, die nahezu zeitgleich auf dem Festland durch ihre Biomasseproduktion überhaupt erst die Bedingungen für tierisches Leben schufen. Die Eroberung des Landes erforderte eine radikale Änderung der Sauerstoffversorgung. Erfolgte der Austausch von wassergelöstem Sauerstoff und Kohlenstoffdioxid bei Meerestieren über die Haut oder über spezialisierte Kiemen, so entwickelten die Insekten ein Luftröhrensystem, die Tracheen, als Austauschorgan zwischen Atmosphäre und Körperflüssigkeit.

 

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