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Bäume und Wälder

Wald und Bäume

 

Wer einen Wald aufsucht, der betritt eine andere Welt. Das drückt bereits unsere Sprache aus: Wir gehen in einen Wald und wir gehen im Wald spazieren. Der Wald als Raum. Und wirklich, gleicht er nicht einem Haus mit einem Dach aus Blättern und Seitenwänden aus Gebüschen und Rankpflanzen? Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile: Das vermutete bereits der griechische Philosoph und Naturforscher Aristoteles. Ein Hochsommertag im Wald macht die Bedeutung dieser Idee geradezu körperlich erlebbar. War es auf dem Weg durch die Felder und Wiesen noch heiß, trocken und windig, so umgibt den Wanderer im Wald eine angenehme Kühle. Ohne Zweifel trägt jeder Baum für sich seinen Anteil zur Abkühlung und Befeuchtung der Luft bei. Dennoch, der Zusammenschluss der Einzelbäume zu einer Waldgemeinschaft schafft eine neue Situation: Die Abgrenzung eines umschlossenen Luftkörpers schützt den Innenraum vor Sonneneinstrahlung und Wind – der Wald erzeugt sein eigenes Binnenklima. Ein Wald ist eben mehr als die Summe seiner Bäume.


Ein natürlicher Wald besteht aus Schichten. Ganz unten die Bodenvegetation, darüber die Sträucher und über allem die Bäume. Das hört sich schablonenhaft an, aber ein Besuch in einem naturnahen Wald, zum Beispiel einem Auwald, bestätigt dieses Schema. Schon im zeitigen Frühling überdeckt ein blühender Teppich aus Märzenbechern, Schneeglöckchen, Waldprimeln oder Blaustern den Boden, bald gefolgt von Bärlauch und Goldnesseln. Diese frühen Pflanzen bezeichnet man wissenschaftlich auch als Frühlingsgeophyten. Etwa in Augenhöhe entfaltet sich die Strauchschicht: Pfaffenhütchen, Schwarzer Holunder, Heckenkirsche, Liguster, Seidelbast oder Traubenkirsche. Darüber, auf säulenartigen Stämmen, die Kronen der Eschen, Eichen und Ulmen. Diese Schichtung ist kein Zufall, sondern Spiegelbild pflanzlicher Wuchsformen. Einjährige Pflanzen erneuern sich allein aus ihrer Saat. Sie wachsen bis zur Samenbildung, dann sterben sie. Mehrjährige Stauden besitzen Organe zum Überdauern schlechter Jahreszeiten; aus Zwiebeln, Knollen oder Wurzelstöcken sprießen regelmäßig neue Triebe. Bei diesen krautigen Pflanzen erfolgt das Wachstum des Sprosses an der Spitze, ihre Stängel werden nicht dicker. Daher fehlt ihnen die Tragfähigkeit für die Entwicklung hoher Vegetationskörper. Sie bilden die Bodenvegetation oder die Krautschicht des Waldes.


Bäume und Sträucher dagegen besitzen mehrjährige Sprosse, die durch Neubildung von Holz zeitlebens an Umfang zulegen. Dieser Vorgang wird als sekundäres Dickenwachstum bezeichnet. Holz erhöht die Tragfähigkeit des Triebes und dient dem Wassertransport und Stoffaustausch zwischen Blättern und Wurzeln. Sträucher sind holzige Pflanzen, die entweder mit mehreren Trieben aus dem Wurzelstock wachsen, so wie der Haselstrauch, oder sich knapp über dem Boden verzweigen wie etwa der Schwarze Holunder. Sträucher ragen über die krautige Bodenvegetation hinaus, aber sie können mit ihren sparrigen Astkonstruktionen nicht zu den Bäumen aufschließen. Diese bilden mit ihren säulenförmigen Stämmen das Dach des Waldes. Als Konsequenz des beständigen Holzuwachses speichern Bäume Biomasse, eine Fähigkeit, die bei den krautigen Pflanzen nur auf die unterirdischen Knollen, Wurzelstöcke oder Zwiebeln beschränkt ist. Bäume sind daher die wichtigsten Quellen pflanzlicher Biomasse im Wald.

Trotz vieler Gemeinsamkeiten bilden Holzpflanzen eine stammesgeschichtlich uneinheitliche Gruppe. Sie haben sich in der Evolution der Gefäßpflanzen mehrfach und unabhängig voneinander entwickelt. Die Vorläufer unserer Nadelbäume entstanden bereits im Karbonzeitalter. Das war vor 325 Millionen Jahren. Die Laubbäume gehören zur Klasse der Bedecktsamer, die sich in der frühen Kreidezeit entwickelten, also vor etwa 130 Millionen Jahren. Nadelbäume und Laubbäume sind daher nur entfernt verwandt. Aber auch die Laubbäume gehören ganz unterschiedlichen Pflanzenfamilien an. Und selbst innerhalb von Familien gibt es oft unterschiedliche Wuchsformen. Als Beispiel seien die Rosengewächse erwähnt, von denen uns sowohl Gehölze wie Wildbirne, Traubenkirsche oder Schlehe begegnen, aber auch krautige Vertreter wie Nelkenwurze oder Fingerkräuter. Bäume und Sträucher lassen sich daher nicht taxonomisch, sondern lediglich aufgrund ihrer Bauweise beschreiben. Bäume durchlaufen während ihrer Entwicklung alle Wuchsformen vom krautigen Keimling über strauchartige Jugendformen, bis sie schließlich einen richtigen Stamm ausbilden. Dies deutet darauf hin, dass die Entwicklung von krautigen Pflanzen zu Holzpflanzen ein recht unkomplizierter evolutiver Prozess ist. Angesichts der häufigen Realisierung dieses Schrittes in taxonomisch ganz unterschiedlichen Pflanzengruppen muss das Leben als Baum wohl ein ökologisches erfolgreiches Konzept sein.


Eine hervorstechende Eigenschaft von Bäumen ist Größe. Ein hoher Wuchs bietet Konkurrenzvorteile bei der Energiegewinnung. Alle Lebewesen benötigen nämlich für den Aufbau und Erhalt ihrer Körperstrukturen energiereiche chemische Verbindungen, so genannte Kohlenwasserstoffe. Grüne Pflanzen sind in der Lage, diese aus den überall verfügbaren Rohstoffen Kohlenstoffdioxid und Wasser selbst herzustellen. Die dazu notwendige Energie gewinnen sie durch die Photosynthese, der Umwandlung von Sonnenlicht in chemische Energie mit Hilfe des grünen Pflanzenfarbstoffes Chlorophyll. Dieses molekulare Werkzeug der pflanzlichen Energiegewinnung befindet sich in den Blättern. Flach und nur aus wenigen Zellschichten bestehend, sind sie perfekte Sonnenkollektoren. Ein Gerippe aus Leitbündeln und Festigungsgewebe spannt die Blattfläche wie ein Regenschirm: Das ist materialsparend und gibt der Konstruktion trotzdem die nötige Stabilität. Durch ihre im wahrsten Sinne des Wortes herausragende Stellung sind Bäume die Kraftwerke des Waldes. Stämme und Äste dienen der günstigen Ausrichtung der Blätter. Diesem vielfach gestaffelten System aus Solarmodulen entgeht kaum ein Lichtstrahl. Als Meister der Lichtnutzung sind Bäume die Säulen, auf denen die Nahrungsversorgung des Ökosystems Wald lastet.

 

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