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Edi

Die Gülle-Katastrophe

 

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Stickstoff ist ein zentraler Bestandteil von Proteinen, Nukleinsäuren und Chlorophyll. Ohne Stickstoff gäbe es keine Pflanzen – und ohne diese auch keine Tiere. Eigentlich sollte an Stickstoff kein Mangel herrschen, denn immerhin besteht unsere Atmosphäre zu 78% aus reinem Stickstoff (N2). Trotzdem ist Stickstoff häufig ein begrenzender Faktor für das Pflanzenwachstum, denn diese können ihn nicht in seiner reinen Form verwerten, sondern sie benötigen für ihren Stoffwechsel Nitrat-Ionen (NO3-). Das wasserlösliche Nitrat kann leicht über die Wurzeln aufgenommen werden. Dies gilt auch für Ammonium (NH4+), das aber wegen seiner Toxizität nur in geringen Mengen in den pflanzlichen Stoffwechsel überführt werden kann. In der Natur anfallendes Ammonium, zum Beispiel aus tierischen Ausscheidungen oder dem Abbau von Biomasse, wird durch spezialisierte Bakterien der Gattung Nitrosomonas zunächst zu Nitrit und dann von Nitrobacter-Arten zu Nitrat oxidiert.

Einmal von Pflanzen aufgenommen, rotieren die biologisch verwertbaren Stickstoffverbindungen wie wertvolle Rohstoffe durch den Stoffkreislauf der Ökosysteme. Allerdings gibt es dabei Verluste, die immer wieder aufgefüllt werden müssen. Tatsächlich stammt der organisch gebundene Stickstoff aus der Atmosphäre. Den Löwenanteil der biologisch verwertbaren Stickstoffverbindungen produzieren bestimmte Bakterien, die über das Enzymsystem Nitrogenase verfügen, mit dem diese den reaktionsträgen atmosphärischen Stickstoff zunächst in Form von Ammonium fixieren. Ein kleiner Teil findet den Weg in den biologischen Stoffkreislauf über Stickoxide (NOx) zum Beispiel über elektrische Entladungen (Gewitter) oder mikrobische Quellen.

So war es jedenfalls bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Durch die Herstellung von Kunstdünger vor etwa einhundert Jahren haben wir es nämlich mittlerweile geschafft, auf die biologische Stickstofffixierung jedes Jahr noch einmal die gleiche Menge an künstlich hergestellten Stickstoffverbindungen draufzusetzen. Die Hälfte des biologisch verwertbaren Stickstoffes stammt heute aus künstlichen Quellen. Auch die NOx-Emissionen aus anthropogenen Quellen (Landwirtschaft, Verkehr, Heizung) übersteigen die natürliche NOx-Produktion um etwa das Vierfache, wodurch sich künstlich generierte Stickstoffverbindungen über die Atmosphäre auch in ansonsten unbelastete Ökosysteme ausbreiten können. Das Ausmaß und die Kürze der Zeit, in welcher wir nicht nur das biologische Inventar unseres Heimatplaneten in Trümmer legen, sondern uns sogar die natürlichen Stoffkreisläufe zur Beute machen, erfüllt die Sachkundigen mit Sorge, die Optimisten mit Stolz und die Majorität mit Gleichgültigkeit.

Jedenfalls war 3,2 Milliarden Jahre lang die biologische Stickstofffixierung ein begrenzender Faktor in nahezu allen natürlichen Ökosystemen. Hier waren metabolisierbare Stickstoffverbindungen fast immer Mangelware, weswegen sich die Mehrzahl aller Pflanzenarten an die beschränkte Verfügbarkeit von Stickstoff angepasst hat. Aber nicht nur in natürlichen Ökosystemen, sondern auch in der vorindustriellen Landwirtschaft herrschte ein eklatanter Stickstoffmangel. Wirklich stickstoffreiche Biotope sind nämlich von Natur aus selten - aber es gibt sie. Hierzu zählen Überschwemmungszonen von Bächen und Flüssen (Auen) oder Wasserstellen, Schlafplätze und andere Aufenthaltsorte, an denen sich wild lebende Weidetiere konzentrieren und dabei ihren Harn und Dung ablassen. Weil es kaum Biotope mit Nährstoffüberfluss gibt, haben sich auch nur wenige Pflanzenarten auf diese ökologische Nische spezialisiert, die so genannten Nitrophilen. Diese Pflanzen fanden durch die menschliche Viehhaltung auch Eingang in den Kulturraum, wurden aber dadurch zunächst nicht wesentlich häufiger, weil Nutztiere lediglich die ökologische Nischen besetzen, die durch die Ausrottung oder Dezimierung von Pflanzenfressern erst geschaffen wurden. Die Tragfähigkeit von Ökosystemen ist nämlich durch die pflanzliche Biomassenproduktion begrenzt, wobei es weitgehend unerheblich ist, ob es sich dabei um die natürliche Vegetation handelt oder um landwirtschaftliche Nutzflächen.

Die Viehweiden des vorindustriellen Zeitalters waren selten überdüngt, weil nur der Teil des Stickstoffs aus den Futterpflanzen im System verblieb, der als Ausscheidungen der Nutztiere wieder auf der Weide landete. Der in Form von Fleisch oder Milch gebundene Stickstoffanteil hingegen nahm den Weg über die menschlichen Konsumenten, deren Verdaungsprodukte dann als wertvoller Dünger in Gemüsegärten und auf Äckern Verwendung fanden. Dies traf auch für den Stallmist zu, durch den in vergleichbarer Weise Nährstoffe von den Mahdwiesen auf die ackerbaulichen Produktionsflächen verlagert wurden. Die Mitglieder eines Landwirtschaftsbetriebes wurden somit selbst Teil eines Stickstoffkreislaufes, wobei aber den Wiesen und Weiden zugunsten der Gärten und Ackerflächen beständig Stickstoff entzogen wurde, so dass besonders das Dauergrünland unter einem chronischen Nährstoffunterschuss litt. Wie natürliche Ökosysteme wurde somit auch die traditionelle Landwirtschaft durch Stickstoffmangel begrenzt.

Unter diesen Mangelbedingungen konnte sich auch auf landwirtschaftlichen Nutzflächen eine große Artenvielfalt erhalten, weil Nährstoffarmut die anpassungsfähigen Spezialisten unter den kulturbegleitenden Wildpflanzen vor der Konkurrenz wuchsfreudiger, nitrophiler Arten schützt. So kommen auf extensiv beweideten Magerrasen auf wenigen Quadratmetern leicht siebzig Pflanzenarten vor, im Gegensatz zu den zehn bis maximal zwanzig Arten auf unseren heutigen, intensiv gedüngten Fettwiesen. Dennoch können fast alle Pflanzenarten, die sich an nährstoffarme Situationen angepasst haben, von zusätzlichen Stickstoffgaben profitieren. Das zeigt die Üppigkeit vieler Garten- oder Zimmerpflanzen, die oft aus nährstoffarmen Biotopen stammen. Tatsächlich gedeihen ja selbst hochalpine Pflanzen in unserer Obhut, wenn wir ihnen nur die Konkurrenten („Unkraut“) vom Leibe halten. Pflanzen, die von Natur aus mit einer geringen Nährstoffzufuhr zurecht kommen, unterliegen aber bei steigenden Stickstoffeinträgen regelmäßig der Konkurrenz der in punkto Stickstoffverwertung überlegenen Nitrophilen.

Beruhte die landwirtschaftliche Produktion bis vor einem Jahrhundert ausschließlich auf der biologischen Stickstofffixierung, so konnte das Haber-Bosch-Verfahren, eine Technik zur chemischen Synthese von Ammoniak aus Stickstoff und Wasserstoff, die Abhängigkeit der Agrarproduktion von natürlichen Prozessen nach und nach beseitigen. Kunstdünger steigerte die Agrarerträge um ein Vielfaches. Angesichts des latenten Stickstoffmangels traditioneller Landwirtschaft erscheint die Behauptung, dass ohne diese chemische Stickstofffixierung eine Ernährung von nunmehr über sieben Milliarden Menschen undenkbar wäre, durchaus plausibel. Dennoch ist dieses gerne verwendete Argument nicht so stichhaltig, wie es auf den ersten Blick erscheint. Eine solche pauschale Aussage klammert nämlich viele Probleme aus, wie zum Beipiel: Wer hat überhaupt Zugang zu Kunstdünger? Wozu wird er verwendet und in welchen Mengen? "Drei Viertel aller agrarischen Nutzflächen werden heute in irgendeiner Weise für die Tierfütterung beansprucht", so der Fleischatlas 2014 der Heinrich-Böll-Stiftung. Gleichzeitig hungern fast 800 Millionen Menschen, berichtet die Welthungerhilfe. Zumindest eines ist also offensichtlich: Der Fleischkonsum des reichsten Fünftels der Menschheit könnte ohne Kunstdünger nicht befriedigt werden, wofür wir auch einen Teil der Agrarflächen der Entwicklungs- und Schwellenländer für unsere Bedürfnisse in Beschlag nehmen.

Neben der ethischen Komponente des Fleischkonsums, die hier nicht weiter verfolgt werden soll, gibt es auch eine ökologische. Tatsächlich werden ja nicht nur die für die unmittelbare menschliche Ernährung notwendigen Agrarprodukte gedüngt, sondern auch die für die Tiermast eingesetzten Futtermittel - und das hat katastrophale Nebenwirkungen. Technisch gesehen wird der künstlich fixierte Stickstoff auf die Nutzpflanzen übertragen, um dann entweder über den direkten Verzehr von Agrarprodukten oder indirekt über den Fleischkonsum in den menschlichen Stoffwechsel zu gelangen. Mittlerweile stammen etwa 80% des Stickstoffs in unserem Körper aus technischer Stickstofffixierung! Wir haben unsere Ernährung also bereits weitgehend von natürlichen Prozessen abgekoppelt. So scheint es jedenfalls. Tatsächlich wäre dieser Sachverhalt nicht weiter bemerkenswert, wenn er denn Ausdruck eines geschlossenen Stickstoffkreislaufes wäre, der - vergleichbar mit dem Stickstoffkreislauf in traditionell bäuerlichen Betrieben - vom Kunstdünger über die Nahrung und unsere Ausscheidungen und die unserer Nutztiere wieder zurück auf die Felder und Wiesen führen würde. Aber das ist nur teilweise der Fall.

So wie jeder Kreislauf in unserer Umwelt Verluste aufweist, er also nie vollständig geschlossen ist, so entweicht auch ein Teil des chemietechnisch gebundenen Stickstoffs in die natürlichen Ökosysteme, zum Beispiel über die Stickstofffracht menschlicher Ausscheidungen im Klärwasser oder durch Auswaschung von Nitrat aus den mit tierischen Exkrementen gedüngten Nutzflächen. Je höher der Eintrag, desto größer auch der Schwund. Und weil die künstliche mittlerweile die gesamte natürliche Stickstofffixierung übertrifft, ist die Konsequenz ein explosionsartiger Anstieg von Nährstoffen: Wir düngen unseren Planeten!

Beschränken wir den Blickwinkel auf unser eigenes Land, das gleichzeitig als Täter für einen wesentlichen Anteil des globalen Stickstoffaufkommens verantwortlich ist und als Opfer - vielleicht auch gerechterweise - unter den Schäden seiner unökologischen Wirtschaftsweise leidet. Um die überbordende Stickstoffbefrachtung unseres Landes zu verstehen, kommt man um die Betrachtung der zentralen Verantwortlichkeit der Fleischindustrie nicht herum. Die durch Kunstdünger befeuerte „Grüne Revolution“ hat neben Nahrungsmitteln auch Viehfuttermittel (Getreide, Soja) so sehr verbilligt, dass seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Fleisch für Jedermann erschwinglich wurde – und der Fleischkonsum hat gerade in den Industriestaaten ungeahnte Ausmaße angenommen. In vielen Ländern boomt die Massentierhaltung so sehr, dass sie die Eigenversorgung mit Futtermitteln bei weitem übersteigt. So importiert Deutschland einen großen Anteil seines Viehfutterbedarfs aus Entwicklungs- und Schwellenländern, wo Futterpflanzen nicht nur aus klimatischen Gründen sehr gut gedeihen, sondern auch die Vorschriften für den Einsatz von Gentechnik, Kunstdünger, Herbiziden und Pestiziden - wenn denn überhaupt Beschränkungen existieren - keine wirtschaftlich relevanten Hindernisse darstellen.

Auch in Deutschland selbst werden nur 29% der landwirtschaftlichen Nutzfläche für unsere unmittelbare Versorgung mit pflanzlichen Nahrungsmittel genutzt (viel weniger also als interessierte Kreise uns gerne glauben machen wollen), 13% für Energiepflanzen und andere stoffliche Verwertungen, aber 58% für Futtermittel (Statistisches Bundesamt 2010). Das sind etwa 9 Millionen Hektar, die allein dem Futtermittelanbau dienen. Auch wenn auf der Hälfte dieser Fläche proteinarmes (und damit stickstoffarmes) Grünfutter angebaut wird, so bleibt doch eine Fläche von der Größe Niedersachsens, die für die ackerbauliche Produktion von stärkehaltigem Futtergetreide (3,2 Millionen Hektar) und proteinreichen Kraftfutters wie Raps und Hülsenfrüchte (1,4 Millionen Hektar) belegt wird. Selbst diese gewaltige Fläche reicht nicht annähernd für die Ernährung der hiesigen Tierbestände aus. Um die Futtermittelversorgung unserer Mast- und Milchbetriebe vollständig aus heimischer Produktion bestreiten zu können, fehlen mindesten 4 Millionen Hektar Anbaufläche, eine Fläche größer als die des Bundeslandes Baden-Württemberg. Wie das Statistische Bundesamt kalkuliert hat, ist die für den Import von Futtergetreide und Kraftfutter notwendige Flächenbelegung im Ausland also fast ebenso groß wie die inländische Anbaufläche.

Zwei Drittel des Bedarfes an proteinreichem Futter (besonders Ölkuchen und Ölschrote) beziehen unsere Fleischproduzenten aus dem außereuropäischen Ausland. Gerade diese proteinhaltigen Futtermittel benötigen selbstverständlich auch besonders viel Stickstoff- und Phosphatdünger. Das bedeutet aber, dass wir über Futtermittel auch den Stickstoff importieren, der dann als Gülle, Jauche oder Mist auf den heimischen Ackerflächen landet. Tatsächlich stammen 0,37 der 0,89 Millionen Tonnen Reinstickstoff, die jährlich in Form von Tierexkrementen auf unsere Landwirtschaftsflächen ausgebracht werden, aus dem Import von Futtermitteln (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft BMEL, 2013).

Um den importierten Stickstoff wieder durch pflanzliches Wachstum binden zu können, fehlen genau die Flächen, auf denen diese auswärtigen Futterpflanzen gewachsen sind. Anders als in einem natürlichen Ökosystem und anders als im traditionellen Landbaubetrieb betreibt die industrielle Landwirtschaft eben keinen Stickstoffkreislauf, sondern eine sich selbst verstärkende Anreicherungsspirale. Die anfallenden Fäkalien werden selbstverständlich nicht an den Ort zurückgebracht, wo die importierten Futterpflanzen wachsen, sondern sie werden kurzerhand auf heimischen Flächen verklappt. Gleichzeitig wird der Stickstoffverlust in den Anbaugebieten durch Kunstdünger ausgeglichen. Auf diese Weise pumpt die hiesige Nutztierhaltung unablässig künstlich fixierten Stickstoff auf deutsche Äcker und Wiesen, von wo aus er sich über das Grund- und Oberflächenwasser seinen Weg in die heimische Ökologie bahnt. Hinzu kommen natürlich noch unsere eigenen Verdauungsprodukte, deren etwa 0,32 Millionen Tonnen Reinstickstoff pro Jahr, auch nach der Behandlung im Klärwerk zu einem gewissen Anteil (etwa 30%) als biologisch aktive Stickstoffverbindungen die heimische Umwelt belasten. Selbstverständlich hat dieser gewaltige Stickstoffüberschuss erhebliche Auswirkungen auf Biodiversität und Trinkwasserqualität.

Die Kombination aus billigem Importfutter und großzügiger Abwasserentsorgung hat Deutschland zu einem Zentrum der industriellen Fleischproduktion und zu einem boomenden Exportland für Billigfleisch werden lassen. Von den 8 Millionen Tonnen Fleisch, die 2013 produziert wurden, ging die Hälfte wieder in den Export. Nur die Stallabfälle, die bleiben zu 100% im Lande. Auch wenn die anschwellenden Güllemengen durch eine Verminderung des Kunstdüngereinsatzes auf heimischen Feldern teilweise kompensiert werden, kann nur ein Teil der importierten Stickstofffracht wieder in pflanzliche Biomasse überführt werden. Tatsächlich gibt das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz BMELV einen Flächenbilanzüberschuss von 68 kg N/ha an. Es handelt sich hierbei um den Mittelwert über alle landwirtschaftlichen Nutzflächen in Deutschland, der in Regionen mit intensiver Nutztierhaltung oft weit überschritten wird. Der Überschuss besteht im Wesentlichen aus einem Zuviel an aufgebrachten Stallabfällen. So wie die Überdosierung eines ansonsten hilfreichen Arzneimittels zu schweren Gesundheitsschäden führen kann, so wird auch eine Überdosis Stickstoff zu einer Gefahrenquelle für Umwelt und Gesundheit. Aus Pflanzendünger wird Umweltgift!

Selbstverständlich ist dieser Umstand auch in der Politik bekannt, schließlich stammen alle hier angesprochenen Daten und Fakten aus den Verlautbarungen von Ministerien und Fachbehörden. Hin und wieder wird die Gülleproblematik sogar angesprochen, aber selbst grüne Landwirtschaftsminister zeichnen sich in dieser Angelegenheit nicht gerade durch überbordenden Tatendrang aus. Diese Haltung ist nachvollziehbar, denn das übelriechende Thema trifft bei den meisten Bürgern ohnehin nur auf ein geringes Interesse. Außerdem dürfte sich der Jubel der Konsumenten wohl in Grenzen halten, sollten Maßnahmen zum Schutze unserer Ökologie und unseres Trinkwassers die Fleischpreise steigen lassen. So ist es kaum verwunderlich, dass auch die unermüdlichen Appelle der Umweltverbände im allgemeinen Desinteresse verhallen.

Tatsächlich erweist sich die Politik als verlässlicher Komplize der Fleisch- und Milchindustrie. So ist das Ausbringen von Gülle und Mist nur in der Vegetationsperiode gestattet, also in dem Zeitraum, in dem die Pflanzen den angebotenen Stickstoff auch aufnehmen können. Alles andere wäre ja auch kaum nachvollziehbar. Daher gibt es die Gülleverordnungen der Bundesländer, die ein Ausbringen der Stallabfälle zwischen dem 1. November (auf Äcker) beziehungsweise 15. November (auf Wiesen) und dem 31. Januar untersagen. Der gesamte Rest des Jahres wird von Staats wegen als Vegetationsperiode definiert. Da kann selbst die Natur noch von der Politik lernen!

Auch die geplanten Erweiterungen der Sperrfristen sind eher kosmetischer Natur, denn auch die Verpflichtung zu einer erweiterten Lagerung ändert natürlich nichts am Aufkommen der Stallabfälle. Tatsächlich genehmigt die deutsche Politik großzügige Ausnahmen von den Vorgaben der EU: Statt 170 kg Stickstoff pro Hektar und Jahr dürfen es bei uns auch gerne 230 Kilo sein. Ob man zu diesen Werten noch einen Graumarktanteil hinzurechnen muss, das zu entscheiden überlasse ich der Lebenserfahrung des Lesers. Jedenfalls könnte Deutschland ohne diese unkonventionellen Hilfestellungen der Politik wohl kaum seinen Spitzenplatz als das EU-Land mit der höchsten Nitratbelastung des Grundwassers verteidigen.

Wenn es also wieder einmal nach Gülle stinkt, dann handelt es sich häufig weniger um notwendige Düngemaßnahmen als um die Deponierung von Abfällen aus der Massentierhaltung. Das ist übrigens ein lukratives Geschäft, denn Gülleproduzenten zahlen zwischen sieben und zehn Euro pro Kubikmeter für die Entsorgung. Bei 160 Millionen Kubikmetern Gülle, die jährlich auf deutschen Wiesen und Äckern landen, kommt da einiges zusammen.

Besonders die Zentren der industriellen Fleischproduktion in Norddeutschland und Teilen Bayerns ersticken regelrecht in tierischem Kot und Urin. Daher enthalten auch viele Tankwagen, denen wir auf der Straße begegnen, keineswegs Versorgungsgüter wie Milch oder Treibstoffe. Ganz im Gegenteil! Kaum ein Bürger weiß, dass die stinkende Brühe durch die ganze Republik kutschiert wird. Aufgrund der laxen Umweltschutzregeln in unserem Land und der höheren ökologischen Standards in einigen Nachbarstaaten, bietet es sich geradezu an, die Stallabfälle bei uns zu entsorgen. So wurden allein im Jahre 2012 1,7 Millionen Tonnen Gülle aus den Niederlanden nach Deutschland importiert. Der Volksmund würde sich bestätigt fühlen, dass man aus Sch... Geld machen kann.

Aber leider haben diese ökonomischen Aktivitäten eine ökologische Kehrseite. Es ist nämlich diese maßlose Überdüngung, welche die eigentlich seltenen nitrophilen Pflanzenarten zu einem überbordenden Wachstum verhelfen und so alle anderen Spezies verdrängen. Und es sind ja nicht nur die Pflanzen von diesem Verdrängungsprozess betroffen, sondern auch die von ihnen abhängigen Tiere. Bedarf es überhaupt noch eines Beleges für diese ökologische Katastrophe, so ist es der Umstand, dass mittlerweile bereits der Anblick eines Schmetterlings ein Grund großer Verzückung ist – und man kann sicher sein, dass es sich in den meisten Fällen um solche handelt, deren Raupen sich – wie Kohlweißling, Tagpfauenauge oder Kleiner Fuchs – entweder von Nutzpflanzen oder von Brennnesseln und anderen Nitrophilen ernähren.

Landwirtschaftliche Stickstoffeinträge (nebst Medikamentenrückstände und Hormone) verteilen sich durch das Oberflächen- und Grundwasser über die ganze Republik. Daher gibt es Fließgewässer mit einem Nitratgehalt unter 10 mg pro Liter nur noch in wenigen landwirtschaftsfernen Regionen der höheren Mittelgebirge oder der Alpen oder in den waldreichen Landesteilen der nordöstlichen Bundesländer. Sobald ein Bach oder Fluss den Einzugsbereich landwirtschaftlicher Nutzflächen erreicht, schnellt der Nitratgehalt nach oben.

Ähnlich beängstigend stellt sich die Belastung des Grundwassers dar. Zwar wird deutschlandweit an 86% der Grundwasser-Messstellen der für Trinkwasser geltende Höchstwert von 50 mg/l Nitrat eingehalten, allerdings entsprechen auch nur noch 69% der Messstellen dem EU-Richtwert von 25 mg/l. Wie hoch der Beitrag der Landwirtschaft an der Belastung des Grundwassers ist, beweist der Umstand, dass in Agrarregionen der Grenzwert von 50 mg/l an der Hälfte der Kontrollpunkte überschritten wird (Nitratbericht 2012 des BMELV). Folgerichtig fordern bereits einige Landwirte allen Ernstes die Verlegung der Messstellen. Der von Landwirtschafts- und Umweltministerium gemeinsam veröffentlichte Nitratbericht führt 70-80% der Grundwasserbelastungen durch Nitrat auf die Überdüngung von Agrarflächen zurück. So müssen also weiterhin viele Versorger die Qualität des Trinkwassers durch geschicktes Mischen unterschiedlich belasteter Brunnen oder duch teure Denitrifizierungsverfahren sicherstellen. Unseren Hunger nach billigem Fleisch bezahlen wir mit der Wasserrechnung!

Ist denn Nitrat gesundheitsgefährlich? Nach allen Bekundungen von Fachleuten scheint Nitrat in moderaten Konzentrationen gesundheitlich unbedenklich zu sein - jedenfalls für Erwachsene. Säuglinge reagieren empfindlicher auf Nitrate, beziehungsweise auf die daraus bei der Verdauung entstehenden Nitrite. Tatsächlich aber sind biologische Stickstoffverbindungen Bestandteil unserer Nahrung und für unseren eigenen Stoffwechsel unentbehrlich. So schätzt zum Beispiel das Bundesamt für Risikobewertung eine Gefährdung durch Nitrat in Nahrungsmitteln und Trinkwasser als gering ein. Lediglich eine dauerhaft hohe Nitratzufuhr könnte langfristig Gesundheitsprobleme verursachen. Bei den Grenzwerten für Nitrat in Lebensmitteln und im Trinkwasser handelt es sich daher um Vorsorgemaßnahmen und nicht um tierexperimentell oder epidemiologisch verifizierte Gefährdungsschwellen. Die Definition der Grenzwerte beruht auf der Logik, dass Stickstoffverbindungen in Lebensmitteln unvermeidlich und notwendig sind, diese aber im Trinkwasser nichts zu suchen haben.

Die Bemessung von Grenzwerten muss allerdings dem Umstand Rechnung tragen, dass Stickstoffverbindungen durch landwirtschaftliche (Kunstdünger, Gülle, Mist, Gärreste aus Biogasanlagen), menschliche (Abwässer) und technische Einträge (Heizung, Verkehr, Kläranlagen) einen massiven Anstieg des auch natürlicherweise im Grundwasser vorkommenden Nitratanteils verursacht haben. Für den Gesetzgeber gibt es daher zwei Stellschrauben: Er ergreift Maßnahmen zur Absenkung der Stickstofflast oder er passt die Grenzwerte dem Grad der Verschmutzung an. Das Letzteres eine Rolle spielt, kann man durchaus argwöhnen, denn wie soll man wohl die Unterschiede des Grenzwertes für Nitrat im Trinkwasser bewerten, der in den USA 10 mg/l beträgt, in der Schweiz 25 mg/l, in Deutschland aber 50 mg/l.

Andererseits versprechen die verantwortlichen Ministerien seit vielen Jahren eine Reduktion landwirtschaftlicher Stickstoffeinträge. Zwar ist der Stickstoff-Flächenbilanzüberschuss im Durchschnitt der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Deutschland von 111 kg/ha im Jahr 1990 auf 68 kg/ha im Jahr 2010 gesunken, dennoch konnten die Stickstoffüberschüsse in den Zentren der Viehhaltung Nordrhein-Westfalens, Niedersachsens, Bayerns und Schleswig-Holsteins nicht oder nur unwesentlich verringert werden. Natürlich gäbe es Möglichkeiten. Menschliche Fäkalien werden selbstverständlich in Kläranlagen behandelt, nicht nur um Gesundheitsgefährdungen abzuwenden, sondern auch um ihnen etwa 70% der Stickstofffracht durch Umwandlung in atmosphärischen Stickstoff zu entziehen. Während bei menschlichen Abwässern das Verursacherprinzip angewandt wird, gilt dies offensichtlich nicht für die Fleischproduzenten.

Vordergründig trägt die Landwirtschaft mit ihren Einträgen die Hauptverantwortung für die weiträumige Eutrophierung terrestrischer Ökosysteme, Oberflächengewässer und Grundwasserkörper. Man mag sich daher fragen, warum Politik und Bevölkerung diesem unökologischen Treiben so gelassen zusehen. Wirtschaftlich begründet ist diese Duldsamkeit jedenfalls nicht: Die Landwirtschaft nimmt zwar 52% der Fläche unseres Landes ein, trägt aber weniger als 1% zum Bruttoinlandsprodukt bei. Auch die Arbeitsplätze in der Fleischindustrie gehören definitiv nicht zu den begehrtesten. Auch die Mehrzahl der Landwirte klagt über dürftige finanzielle Erträge, die jedes Jahr zu Betriebsniederlegungen zwingen. Wer also hat einen Vorteil, wenn doch für fast alle Betroffenen und Beteiligten die Nachteile zu überwiegen scheinen?

Vielleicht hilft da ein Blick in den Spiegel, denn letztendlich ist es nicht der Landwirt, sondern auch der Verbraucher, der mit seinem Ernährungsverhalten und seinem Wunsch nach möglichst billigem Fleisch für die Folgen der Massentierhaltung mitverantwortlich ist.

 

tRegion3