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Zur Errichtung gesteuerter Flutpolder an der bayerischen Donau

bei Bertoldsheim, Eltheim, Wörthhof, Großmehrig, Katzau, Höchstädt, Schwenningen, Dillingen, Steinheim, Leipheim, an der Oberauer Schleife, bei Feldkirchen und Wasserburg am Inn, bei Feldolling an der Mangfall und im Seifener Becken an der Iller.


Von Professor Dr. Jörg Hemmer

Zitierung und Verlinkung erwünscht. Abdruck, auch in Auszügen, nur mit Genehmigung des Autors.

Schon immer wurden unsere Flusstäler in einem bescheidenen Maße für Landwirtschaft, Holzgewinnung, Fischerei, Schifffahrt oder Mühlenbetriebe genutzt. Einer Intensivierung der ökonomischen Aktivitäten standen jedoch drei Wesensmerkmale naturbelassener Flüsse im Wege: die oft kilometerbreiten Schotterbänke, durch die sich die kurvenreichen und häufig verzweigten Wasserläufe ihren Weg bahnten, die hohen Grundwasserspiegel in den angrenzenden Flussniederungen und das witterungsbedingte Schwanken der Wasserstände mit Perioden extremen Niedrigwassers bis hin zu weiträumigen Überflutungen der Uferbereiche. Bereits im neunzehnten Jahrhundert wurden die Flüsse vielerorts begradigt. So wurde Land gewonnen, das Grundwasser fiel. Mit den begleitenden Entwässerungsmaßnahmen legten diese Korrektionen die Grundlage für eine Intensivierung der Landwirtschaft, einen Schutz gegen Hochwasser boten sie jedoch nicht.

Am naturbelassenen Fluss war der Wechsel von Hoch- und Niedrigwasser so selbstverständlich wie Ebbe und Flut am Meer. In dieser Wechselwasserzone entstand unser kostbarstes Ökosystem, die Aue, die auf nur wenigen Prozent der Landesfläche der Hälfte aller mitteleuropäischen Tier- und Pflanzenarten eine Heimat bot. Kaum irgendwo könnte der Gegensatz zwischen Ökonomie und Ökologie größer sein als in der Aue, wo das Auf und Ab des Wassers und die enge Verzahnung aquatischer und terrestrischer Lebensräume das Fundament für eine einmalige Fauna und Flora bilden, wo aber gerade diese lebensspendenden Umweltbedingungen einer wirtschaftlichen Erschließung so unversöhnlich im Wege stehen.

In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wurden die meisten unserer Flüsse, so auch die Donau samt ihrer alpinen Nebenflüsse, endgültig den Gesetzen ökonomischer Funktionalität unterworfen. Die Inanspruchnahme unserer Flusslandschaften beruht bis heute auf zwei Säulen: die Nutzung der Wasserwege für Energieerzeugung und Gütertransport sowie die Gewinnung von Wirtschafts- und Siedlungsraum in den Überflutungsgebieten. Um die ehemaligen Wildflüsse an die Bedürfnisse der Schifffahrt und Energieproduktion anzupassen, wurden ihre einst windungsreichen und verzweigten Flussarme in künstliche Abflussrinnen verlagert. Kanalisierte Flussabschnitte wechseln heute mit Stauhaltungen, welche die natürlichen Pegelschwankungen zugunsten eines gleichmäßigen, wirtschaftskonformen Durchflusses unterdrücken. Ein lückenloses System aus Dämmen und Mauern sollte die Hochwassergefahr bannen, damit die von störender Natur entkernten Flächen dauerhaft besiedelt und einer ökonomischen Verwertung zugeführt werden konnten.

Im Schutz dieser Deiche entstanden Kernkraftwerke und Raffinerien, Kieswerke und Industriegebiete, Straßen und Eisenbahnen. Bauernhöfe und Gewerbe wurden angesiedelt. Es gab Arbeitsplätze, die Wirtschaft erblühte. Die Gemeinden verkauften die ehemaligen Überschwemmungsflächen als Bauland an ihre Bürger, die sich über ein neues Zuhause freuten. Es fehlten noch Krankenhäuser, Kindergärten, Altenheime, Einkaufszentren oder Sportstätten. Und weil die meisten Menschen den Verlust an Natur nur selten als einen solchen wahrnehmen, verlief die Umgestaltung einst atemberaubend schöner Flusslandschaften in eintönige, aber prosperierende Wirtschaftsregionen nahezu reibungslos. Vergessen wir also zunächst einmal den ohnehin unumkehrbar zerstörten Naturraum und konzentrieren wir uns auf den Hochwasserschutz.

Es gab sie schon immer, die Hochwasser, die an manchen Abschnitten der Donau gut und gerne einmal eine Breite von zwei bis drei Kilometern erreichen konnten. Hochwasser waren selbstredend natürliche Ereignisse und keinesfalls Katastrophen. Warum auch? Für das, was wir gemeinhin als Katastrophe definieren, muss der Mensch als Geschädigter hinzukommen. Da vor Beginn eines staatlichen Hochwassermanagements schließlich niemand auf den Einfall kam, sich freiwillig in dieser Risikozone niederzulassen, waren auch die Schäden minimal. Gewiss, es gab in den Auen schon immer Scheunen, Zäune, Bootsschuppen oder andere, in der Regel geringwertige Einrichtungen, die auch gelegentlich einmal fortgespült wurden, aber es gab weder hoch entwickelte Produktionsanlagen noch eine kostspielige Infrastruktur, ganz zu schweigen von dauerhaften Wohnsiedlungen.

Allein in den ehemaligen Überschwemmungszonen der bayerischen Donau, hinter dem vom Staat geschaffenen Schutz der Dämme, deren Zerbrechlichkeit durch die jüngsten Hochwasser einmal mehr unter Beweis gestellt wurde, leben heute etwa 120.000 Menschen. Hochwasserkatastrophen sind daher nicht das Werk einer feindlichen Natur, sondern das Ergebnis einer leichtsinnigen Politik! Das Gerede von sich nun im Fünfjahrestakt wiederholenden Jahrhundertfluten ist also weniger das Zeichen einer sich immer wilder gebärdenden Natur als ein auf die vermeintliche Naivität des Bürgers gemünztes Kalkül, soll doch der Verweis auf die Heimtücke der Elemente zuallererst von politischer und administrativer Verantwortung ablenken.

Hochwasserschutz ist eine hoheitliche Aufgabe; alle Maßnahmen sind Ergebnisse staatlichen Handelns. Auch die Verantwortung für die Bewertung der Sicherheit und damit die Festlegung der Nutzung vor und hinter den Schutzanlagen liegt bei den zuständigen Behörden. Daher betrachtet wohl jeder Bürger die Erteilung einer Bau- oder Betriebsgenehmigung als eine amtliche Unbedenklichkeitserklärung. Aber da irren die gutgläubigen Eigentümer, Pächter oder Mieter, denn verbindliche Rechtsvorschriften zum Schutzniveau von Deichen und Dämmen gibt es nicht. Tatsächlich muss der Staat lediglich einen wirtschaftlich zumutbaren Schutz anbieten. Wie hoch der Kurs eines Menschenlebens ist, das hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 05.06.2008 erläutert, mit dem er einen Amtshaftungsanspruch bei mehr als 100-jährlichen Hochwassern ausgeschlossen hat. Ob das vielleicht ein Grund für die inflationäre Zunahme von angeblichen Jahrhunderthochwassern in den letzten Jahren ist?

Jedenfalls werden heute in Überschwemmungsgebieten, in denen ein Hochwasserereignis statistisch einmal in 100 Jahren (HQ100) zu erwarten ist, Baubewilligungen nur noch in Ausnahmefällen erteilt. Das gilt selbstredend nicht für die durch Deichanlagen gesicherten Flächen, denn deren Bebauung und Bewirtschaftung ist ja schließlich der Zweck der teuren Schutzmaßnahmen. Dennoch nagen Zweifel. So standen bei den jüngsten Hochwasserereignissen Gebäude unter Wasser – und zwar auch solche jüngeren Datums – für deren Errichtung ja auch einmal amtliche Genehmigungen erteilt worden sind. Gingen die Behörden womöglich zu leichtfertig mit der Existenz ihrer schutzbefohlenen Bürger um? Schließlich profitieren die Gemeinden von der Erschließung und dem Verkauf des als sicher deklarierten Baulandes. Oder hat man sich bei der Bewertung der Risiken einfach nur verkalkuliert, und wenn ja, wieso sollte das heute anders sein?

Die meisten Menschen, die in solchermaßen gesicherten, ehemaligen Überschwemmungsgebieten leben, fühlen sich vermutlich wohlbehütet, vertrauen sie doch auf die Unbedenklichkeit staatlichen Handelns. Dass hier eine Zeitbombe tickt, das hat natürlich auch die Politik erkannt. Schon immer haben geschmeidige Volksvertreter – zwar niemals mit Nachdruck, aber doch hin und wieder – auf ein selbstverständlich niemals vollständig auszuschließendes und somit nur rein theoretisches Restrisiko hingewiesen. Aber diese verniedlichende Sprachregelung war spätestens im Juni 2013 nicht mehr zu halten. Die bittere Wahrheit ist: Auch heute kann der staatliche Hochwasserschutz seinen Bürgern, die in den offiziell vor Überflutungen geschützten Bereichen der Flussniederungen leben und arbeiten, nicht die Sicherheit gewährleisten, die sie mit Recht erwarten.

Und das sollen jetzt also die Polder schaffen, monströse Stauseen, in denen bei Gefahr überschüssiges Flusswasser zwischengelagert werden soll? So soll es wohl klingen. Dennoch weist die bayerische Staatsministerin für Umwelt und Verbraucherschutz, Ulrike Scharf, auf ihren Polder-Werbeveranstaltungen stets darauf hin, dass es einen hundertprozentigen Hochwasserschutz nicht geben wird. Nicht hundertprozentig? Nicht absolut? Ist diese Wortakrobatik nun der ungeschickte Versuch einer Verschleierung des tatsächlichen Risikos oder die ernste Warnung vor einer drohenden Gefahr? Da wächst Argwohn: Können Zweifel nicht hundertprozentig ausgeräumt werden, sollte man vielleicht über Alternativen nachdenken.

Die nächste Flut wird kommen, Polder hin oder her. Sollte das Wasser die amtlichen Prognosen einmal wieder ignorieren, dann sind Sündenböcke gefragt. Wie war das noch beim Hochwasser 2013? Erinnern Sie sich noch an diese Hilflosigkeit der Politiker, die in Gummistiefeln und regennasser Kleidung ihre Hoffnung auf baldige Besserung verkündeten, immer voll des Lobes für den großartigen Zusammenhalt der Bevölkerung, für die Spenden an Trost, Kleidern, Lebensmitteln und Hygieneartikeln? Der Bundespräsident mahnte gar den Verzicht eines Eisbechers an, um den Gegenwert für Flutopfer zu spenden.
Wie nur können ein paar Regentage die stolze Wirtschaftsnation im Herzen Europas zum Spiegelbild eines Drittweltlandes aufweichen lassen? Stuttgart 21, der Hauptstadtflughafen, Drohnen und Helikopter wollen auch nicht fliegen, und jetzt noch alle Jahre wieder eine Jahrhundertflut? Nein, so kann es einfach nicht mehr weitergehen! Es ist Sonntag, der 09. Juni 2013. Bürger Sachsens und Bayerns pumpen teils weinend, teils fluchend ihre Keller leer, entschlammen Hauseingänge, zerren an lädierten Möbeln. Noch kämpft Sachsen-Anhalt mit den Fluten, den Magdeburgern steht das Schlimmste noch bevor. Ein günstiger Augenblick für Politiker, dem Feind die Brust entgegenzurecken.

Jetzt muss ein Schuldiger aus der Deckung gezogen werden, denn im Herbst sind Wahlen. Sind es vielleicht die Grünen, die in einem diabolischen Pakt mit dem Hochwasser stehen? „Eine grüne Dagegen-Politik, die am Ende Menschen sowie ihr Hab und Gut gefährdet, darf es nicht geben“, so der damalige FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle im „Focus“. Arnold Vaatz, Vize der CDU/CSU-Fraktion, nimmt den Ball auf: „Wir müssen eine Vetokratie in Deutschland verhindern.“ Ist ja irre! Kein Wunder, dass der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Ulrich Grillo, am Verstand mancher Mitbürger zweifelt: "Wenn notwendige Projekte wie Flutwände am Protest weniger scheitern, kann ich mir nur an den Kopf fassen." Auch Burkhard Jung, Leipzigs SPD-Oberbürgermeister schlägt Alarm: "Wenn wir auf Deichen nicht mehr Wiesen mähen, Sträucher zurückschneiden oder Baumwuchs verhindern können, dann steht Naturschutz gegen Menschenschutz." Vetokratie gegen Demokratie, Naturschutz gegen Menschenschutz: Diffamierungen statt Eingeständnisse eigenen Versagens.

So oder ähnlich wird es sich wohl wieder abspielen, wenn einmal mehr eine Jahrhundertflut das Land unter Wasser setzt, das man eigentlich nie hätte besiedeln dürfen. Die Schuldumkehr ist eine vertraute Taktik, dennoch scheint die öffentliche Diskreditierung des Naturschutzes aufzugehen. Nach den Gründen muss man nicht lange suchen: Den unabhängigen Naturschutzverbänden fehlen einfach die Mittel, um sich gleichwertiges Gehör zu verschaffen oder gar teure Gegengutachten zu finanzieren. Die Vertreter des amtlichen Naturschutzes dagegen stehen auf den Gehaltslisten der Ministerien und Landratsämter. So singen sie das Lied ihrer Dienstherren – wenn auch oft ohne Inbrunst, denn im persönlichen Gespräch tritt nicht selten eine eigene, von der vorgeschriebenen Linie abweichende Meinung zutage. Aber auch freie Vereinigungen lassen kleinlaut verlauten, dass sie gegen Hochwasserschutz grundsätzlich nichts einzuwenden hätten. Natürlich nicht, denn erst kommt der Mensch, dann die Natur. Man kennt schließlich die Macht denunzierender Parolen, mit denen jede Diskussion über Fehler und Verantwortung in der Vergangenheit und ihre Lehren für bessere Wege in die Zukunft im Keim erstickt werden kann. Und genau das ist ja auch das Ziel solcher Totschlagargumente.

Aber es wäre zu einfach, nur auf Politik und Behörden einzudreschen, man hat als Bürger durchaus eigene Handlungsoptionen. Es gibt ihn nämlich doch, den hundertprozentigen Hochwasserschutz: Meide das Risiko! Diese plausible Erkenntnis war auch unseren Altvorderen geläufig. Hochwasser waren eben keine Katastrophen. Im Gegenteil, sie wurden sogar begrüßt, düngten sie doch die Felder und Weiden in einer Zeit, in der es noch keine Kunstdünger gab. Weil diese naturgemäßen Begebenheiten niemanden wirklich berührten, sind auch historische Berichte über Hochwasser recht lückenhaft. Da musste es schon knüppeldick kommen – so wie bei der Magdalenenflut von 1342. Die Wassermassen sollen dem Dreißig- bis Hundertfachen des Hochwassers der Donau von 2013 entsprochen haben, wie der Ökosystemforscher und Geograph Hans-Rudolf Bork von der Universität Kiel berechnet hat. Die Chroniken berichten, dass diese Flut nahezu alle Brücken an den großen deutschen Flüssen zerstörte, Bauernhöfe überschwemmte und viele Menschen zum Verlassen ihrer Häuser zwang. Obwohl keine vernunftbegabte Seele Haus und Hof in die regelmäßig überschwemmten Flussauen gebaut hätte, auf solche Wassermassen war nun wirklich niemand vorbereitet.

Die Erinnerungen an Fluten dieser Größenordnung sind schon lange verblasst. Tatsächlich spielte uns ja auch bislang das Glück in die Hände, denn die vergangenen zweihundert Jahre, in denen nach und nach die Überflutungsräume der deutschen Flüsse kolonisiert wurden, gelten als eine vergleichsweise hochwasserarme Periode. Es überrascht nicht, dass dies der allgemeinen Wahrnehmung zu widersprechen scheint, denn Aktualität und Betroffenheit verführen zu einer subjektiven Überbewertung von Nahereignissen. Der sensationsgierige Gebrauch von Begriffen wie „Jahrhunderthochwasser“ verstärkt diesen Effekt noch. Tatsächlich sind auch die offiziellen Angaben angeblich beispielloser Jährlichkeiten wenig hilfreich, denn es handelt sich hier um Abschätzungen, für die es erst seit kaum zweihundert Jahren einigermaßen belastbare hydrologische und meteorologische Aufzeichnungen gibt. In den Medien wird zudem gerne unterschlagen, dass sich die offiziell kalkulierten Jahrhundertereignisse der jüngsten Vergangenheit lediglich auf bestimmte Flüsse oder gar Flussabschnitte beziehen, wir also von einer Naturkatastrophe vom Kaliber einer Magdalenenflut meilenweit entfernt waren.

Diese Überschätzung aktueller Ereignisse birgt Gefahren. Auch wenn die vergangenen Hochwasser für die jeweils Betroffenen ein großes Unglück waren, so entsteht leicht der Eindruck eines regional begrenzten und grundsätzlich kontrollierbaren Risikos. Diese fahrlässige Ansicht wird durch eine Politik bestärkt, die vorgibt, das Problem mit einigen technischen Maßnahmen aus der Welt schaffen zu können. „Bayern soll hochwassersicher werden“, mit diesem Gelöbnis wirbt die Bayerische Staatsregierung von Neu-Ulm bis Passau für ihre Polderpläne. Nicht etwa hochwassersicherer, nein, hochwassersicher! Das ist nun aber ein buchstäbliches Versprechen!

„Bayern soll hochwassersicher werden“, so heißt es auch demonstrativ auf der ersten Seite der Homepage des Hochwasserdialogs des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz (http://www.hochwasserdialog.bayern.de/index.htm), aber nur wenige Zeilen weiter folgt der beunruhigende Satz: “Einen absoluten Schutz vor Überschwemmungen gibt es nicht.“ So ähnlich warnte bereits die Frau Staatsministerin auf ihrer Poldertournee. Das soll wohl ehrlich klingen, wirkt aber eher hilflos und unfreiwillig komisch: Wir versprechen Sicherheit, solange nichts passiert! So als seien Extremhochwasser schicksalhafte Ereignisse, denen man nicht entgehen kann. Tatsächlich aber ist der Mensch selbst durch seine Eingriffe in die Flussläufe vielerorts zum Verursacher von Gefahren geworden, die ursprünglich gar nicht vorhanden waren, und an alle Orte, wo er heute Opfer von Überflutungen werden kann, hat er sich aus freien Stücken und mit staatlicher Billigung in die dort drohenden Gefahren begeben. Wenn Administration und Politik Sicherheit versprechen, ohne Garantien geben zu wollen, weil Extremhochwasser eben immer unvorhersehbar und unkalkulierbar sind, dann bleibt als Quintessenz des Hochwasserdialoges nur die eindringliche Warnung vor einer weiterhin drohenden Gefahr. Und weil man sich gerade bei Existenzfragen nicht auf diffuse Sicherheitsversprechen verlassen sollte, empfiehlt es sich, diese sehr ernst zu nehmen.

Warum auch sollte man ein Risiko eingehen? Wie hoch dieses im Einzelfall ist, darüber geben die über das Internet öffentlich zugänglichen Hochwassergefahrenkarten des Landesvermessungsamtes Auskunft (http://www.lfu.bayern.de/wasser/hw_ue_gebiete/informationsdienst/index.htm). Hier wird detailliert vorgeführt, welche Grundstücke, Wohnhäuser, Gewerbegebiete oder Verkehrswege bei unterschiedlichen Hochwasserszenarien im Wasser stehen werden. Auch die Versicherungsunternehmen geben konkrete Hinweise. Für viele Bauwerke ist es nämlich unmöglich, überhaupt eine Zusatzversicherung gegen Hochwasser abzuschließen. Bei einem moderaten Hochwasserrisiko kann man zwar bei vielen Gesellschaften eine Police bekommen, aber natürlich nur gegen ein entsprechendes Aufgeld. Häufig werden zusätzliche Anforderungen gestellt, um das Haus oder die Wohnung hochwassersicherer zu machen, so dass sich der Aufwand oft kaum lohnt. Außerdem wird für Schadensereignisse noch eine Selbstbeteiligung fällig. In all diesen Fällen kann die Empfehlung also nur lauten: Finger weg! Für diejenigen, die sich bereits in die Risikozonen haben locken lassen, ist dieser fundamentale Konflikt natürlich nicht so einfach lösbar.

Schon heute leben und arbeiten Zehntausende Menschen im fragwürdigen Schutz der Deiche. Die Polderpläne werden das Schutzniveau anheben, daran gibt es keinen Zweifel; aber das Risiko besteht weiterhin, darauf machen selbst die eifrigsten Befürworter aufmerksam. Tatsächlich sind an der Donau und ihren Nebenflüssen durchschnittlich mehr als siebzig Prozent der ursprünglichen Überschwemmungsgebiete verloren gegangen, wodurch sich die für Hochwasser zur Verfügung stehende Profilbreite der Flussniederungen drastisch reduziert hat. Viele Flussabschnitte sind gar vollständig kanalisiert, so dass an diesen Engstellen das Wasser nur noch in die Höhe ausweichen kann. Dies führt vor allem innerhalb von Ortschaften zu schwer lösbaren Problemen. Zu den bereits bestehenden Gefahren treten neue, kaum vorhersehbare Risiken wie der beschleunigte Flächenabfluss der Niederschläge durch die Versiegelung der Landschaft, die Verminderung des Wasserrückhalts durch Umwandlung von Grünland in Ackerflächen oder auch das vermehrte Auftreten von Starkregenfällen durch die Klimaveränderung.

Nach einer Studie der TU München wurde der bayerischen Donau in den vergangenen zweihundert Jahren ein Retentionsverlust von 330 Millionen Kubikmeter aufgebürdet, Wasser, das sich im Extremfall irgendwohin ergießen wird. Etwa ein Drittel dieser Menge sollen nun die Polder aufnehmen. Und das soll Bayern jetzt hochwassersicher machen? Das jedenfalls versichert die zuständige Ministerin Ulrike Scharf in einer Pressemitteilung des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz vom 28.11.2014: "Bayern soll hochwassersicher werden. Unsere Flüsse brauchen mehr Raum. Wir setzen auf natürlichen Rückhalt und gesteuerte Flutpolder. Gesteuerte Flutpolder sind unsere Festungen gegen Jahrhundertfluten. Damit können wir aktiv auf ein Katastrophenhochwasser einwirken und die Flutwelle gezielt kappen – allein entlang der Donau um mehr als 10 Prozent. Jeder Zentimeter kann für die Menschen entscheidend sein."

Festungen gegen Jahrhundertfluten? Ist da vielleicht jemandem die Fantasie durchgegangen? Gesteuerte Polder sind keine Wunderwaffen, sondern künstliche Speicherbecken, überdimensionierte Badewannen, die im Falle des Falles mit Flusswasser vollgepumpt werden können. Davon wird eine Entlastung der Dämme erwartet, sollte das Wasser wieder einmal bis zur Oberkante im Deichraum stehen. Man wagt sich allerdings nicht vorzustellen, was passiert, wenn die Wanne voll ist, das Hochwasser aber dennoch weiter steigt. Aber wie sagt unsere Frau Staatsministerin so beruhigend: „Jeder Zentimeter kann für die Menschen entscheidend sein.“ Hoffentlich zeigt sich auch das Wetter bei dieser Millimeterarbeit von seiner kooperativen Seite.

Selbstredend werden die Polder genau auf den Flächen eingerichtet, die aufgrund ihrer dünnen Besiedelung und wegen ihrer geringen wirtschaftlichen Nutzung immer noch zu den ökologisch wertvollsten unserer Heimat gehören. Beim Polder Apfelwörth bei Höchstädt zum Beispiel handelt es sich um eines der bedeutendsten Naturschutzgebiete Bayerns. Was eine Einstauhöhe von 2,50 m für die Tier- und Pflanzenwelt bedeutet, beschreibt das Umweltministerium so: „Die Tier- und Pflanzenarten in den Fluss- und Stromauen sind grundsätzlich schon von Natur aus an Überschwemmungen angepasst und können daher im Regelfall Überflutungen gut überstehen“. Das ist schon eine recht ungenierte Verbiegung der biologischen Realitäten!

Als typische Auenbewohner gelten Spezialisten unter den Pflanzen und Tieren, die sich an den naturgemäßen Wechsel von Trockenheit und Überschwemmung entlang der Ufer naturbelassener Fließgewässer angepasst haben. Diese natürliche Auenfunktion wurde durch Begradigungen, Stauwerke und Deichanlagen an der gesamten bayerischen Donau nahezu vollständig ausgeschaltet. Es gibt Flächen in den geplanten Flutpoldern, die schon seit vielen Jahrzehnten keinen einzigen Tropfen Flusswasser mehr erlebt haben. Von einer auentypischen Fauna und Flora kann also überhaupt keine Rede sein. Es ist außerdem unredlich, eine Polderflutung mit einem natürlichen Hochwasserereignis gleichsetzen zu wollen. Welche Arten in welchem Umfang von einem Einstau Schaden nehmen, kann nur im jeweiligen Einzelfall geklärt werden, aber eines ist gewiss: Den meisten Tieren und Pflanzen wird eine Polderflutung nicht gut bekommen.

Selbst die Tier- und Pflanzenarten intakter Auen verfügen über eine sehr verschiedenartige, vielfach von äußeren Umständen abhängige (Temperatur, Jahreszeit) und oft völlig fehlende Überflutungstoleranz. Der elementare Überlebensfaktor auentypischer Tier- und Pflanzenarten ist weniger ihr Tauchvermögen als ihre Wiederbesiedlungsfähigkeit nach katastrophalen Ereignissen. All das wissen auch die Experten des Ministeriums. Selbst der wissenschaftlich nicht vorbelastete Bürger dürfte doch wohl kaum einen Zweifel am Schicksal von Tieren haben, die tagelang entgegen ihrer Natur unter Wasser gesetzt werden. Warum dann diese irreführende Aussage? Vielleicht weil das wahrheitsgemäße Eingeständnis von massenhaft ertrinkenden Tieren die öffentliche Zustimmung für das Polderprojekt belasten würde? Tatsächlich folgt die Bemessung der Einstauhöhe und –dauer nicht ökologischen Gesichtspunkten, sondern sie hat im Wesentlichen technische Gründe, wobei allerdings die Einwände der Forstwirtschaft, die Überflutungstoleranz ihrer Brotbäume zu respektieren, durchaus Berücksichtigung fanden.

Nun werden also Deiche erhöht und befestigt, Einlass- und Auslassbauwerke werden errichtet, Verkehrswege ausgebaut: technischer Hochwasserschutz eben, Naturzerstörung inklusive. Natürlich verengen die Fehlentscheidungen der Vergangenheit den heutigen Handlungsspielraum. Tatsächlich wäre es ja auch recht unproduktiv, vergangene Mängel zu beklagen, würde man den Irrweg nun endlich verlassen. Aber das ist aber nicht der Fall. Wieder einmal soll mit einer Notreparatur ein Loch im brüchigen System des technischen Hochwasserschutzes geflickt werden. Ist nicht gerade dieses irrwitzige Milliardenprojekt das unverblümte Eingeständnis einer bislang verfehlten Politik? In der Tat wirken die Polderpläne wie ein Akt der Verzweiflung, schließlich ist das Vorhaben eine unmittelbare Reaktion auf die Hochwasser der vergangenen Jahre, die alle vollmundigen Sicherheitsbekundungen der Vergangenheit als Fehleinschätzung entlarvt haben.

Aber diesmal wird ja alles besser. Sogar die betroffene Bevölkerung soll frühzeitig eingebunden und informiert werden. Es gibt eine Homepage (http://www.hochwasserdialog.bayern.de, hier auch Links zu den Videoaufzeichnungen der öffentlichen Veranstaltungen) und die Staatsministerin für Umwelt und Verbraucherschutz hat sich zu allen geplanten Standorten aufgemacht, um sich mit ihren Beratern und Fachvertretern vor Ort der öffentlichen Diskussion zu stellen. Respekt! Merkwürdig nur die Diskrepanz zwischen dem großen Aufwand auf der einen Seite und dem oft wenig überzeugenden Agieren der Vertreter von Politik und Fachverwaltung auf der anderen. Auf die vielen Fragen der Bürger und lokalen Amtsträger gab es häufig nur ausweichende Antworten und selten etwas Konkretes. Selbst zu brennenden Problemen wie der Grundwasserproblematik konnte immer wieder nur eingestanden werden, dass es dazu noch keine Berechnungen und verbindlichen Aussagen gäbe. So beschwor Frau Scharf z.B. in Großmehrig: "Wenn wir Polder bauen, darf es keine Verschlechterung geben, was die Grundwassersituation betrifft. Ich bin überzeugt davon, dass man's technisch beherrschen kann." Etwas mehr als ein persönliches Glaubensbekenntnis hätten die Zuhörer schon erwartet.

Sollte sich bei den Planungen herausstellen, dass den Anliegern bei einem Einstau Nachteile drohen, dann wird das Polder nicht gebaut: so die Garantie der Landesregierung. Wenn diese „Festungen gegen Jahrhunderthochwasser“ tatsächlich unverzichtbare Instrumente zur Rettung von Menschenleben und Sachwerten in Milliardenhöhe wären, wie die Staatsministerin unermüdlich beteuert, wie kann dann die verantwortliche Staatsregierung wegen ein paar feuchter Keller ein- oder zweimal im Jahrhundert ein Aussetzen dieser angeblich so lebensrettenden Maßnahmen überhaupt nur in Erwägung ziehen? Da müsste man ja auch der Feuerwehr das Löschen verbieten, weil das Wasser Schäden an Nachbargebäuden verursachen könnte! Wenn also die Landesregierung das Eintreten seltener und lokal begrenzter Beschädigungen an materiellen – und damit entschädigungsfähigen – Gütern als folgenschwerer betrachtet als das so intensiv beschworene Gemeininteresse, wie alternativlos sind dann eigentlich die so intensiv beworbenen Polderpläne?

Vorsorge beruht auf dem Erkennen von Fehlern und nicht auf deren Fortsetzung. Der Weg, den uns die Natur anbietet, ist die Rückverlegung von Deichen, die Wiederherstellung ehemaliger Auen und der Rückzug von Ansiedlungen und umweltgefährdender Aktivitäten aus den Hochrisikogebieten. Niemand wird bestreiten, dass geregelte Flutpolder die Zahl der Deichbrüche mindern werden. Aber „hochwassersicher“? Es braucht nicht einmal ein Magdalenenhochwasser, um auch dieses Versprechen wieder einmal als unhaltbar zu entlarven.